Rohertrag verstehen
Der Rohertrag ist eine Zwischensumme. Sie ergibt sich, wenn man von der Gesamtleistung den Materialverbrauch abzieht. Der Hintergrund dieser Kennzahl erklärt sich aus dem Aufbau klassischer Produktionsbetriebe.
Unternehmen, die einen nennenswerten Materialverbrauch haben, ziehen zunächst den Materialverbrauch von der Gesamtleistung ab, um so den Rohertrag zu berechnen. Gleiches gilt für Handelsunternehmen, die erst einmal Waren einkaufen müssen, um Umsätze erzielen zu können.
Der Grund dafür liegt in der Erkenntnis, dass zwischen Materialverbräuchen und Gesamtleistung ein enger Zusammenhang besteht. Es gibt eine direkte Relation zwischen Mehrleistung und Materialeinsatz. Klar: Stellt man doppelt so viele Produkte her, verbraucht man auch doppelt so viel Material und umgekehrt.
Bedeutung des Rohertrags
Dieser direkte Zusammenhang unterscheidet den Materialverbrauch von den meisten anderen Aufwandsarten. Gehälter zum Beispiel sind in einem viel geringeren Maße von der Gesamtleistung abhängig. Aufwandsarten wie Versicherungsbeiträge, Abschreibungen (sofern sie nicht nach Leistungseinheiten erfolgen), Gebühren und ähnliche Aufwendungen sind in der Tendenz eher gleichbleibend. Die Mietaufwendungen ändern sich nicht, wenn man mal etwas mehr oder oder weniger produziert. Der Materialverbrauch aber schon.
Man zieht deshalb erst den Materialaufwand von der Gesamtleistung ab, um zu sehen, wie viel Ertrag übrig bleibt, um die laufenden Aufwendungen abzudecken, die man unabhängig vom erzielten Umsatz monatlich auf jeden Fall finanzieren muss. Erst wenn dann noch etwas übrig bleibt, entsteht Gewinn.
Rohertrag vs. Deckungsbeitrag
Controller denken beim Rohertrag sofort an den Deckungsbeitrag. Das ist das Produktergebnis, da übrig bleibt, wenn man von einem verkauften Produkt oder einer Dienstleistung erst einmal die sogenannten variablen Kosten abzieht. Variable Kosten entstehen nur, wenn man eine zusätzliche Einheit herstellt. Material ist ein klassisches Beispiel für variable Kosten: Produziert eine Bäckerei einen Nusskuchen zusätzlich, dann erhöht sich der Materialverbrauch an Nüssen um 500 gr., je nach Rezept, sonst aber nicht. Das sind variable Kosten.
Aber diese sind beim Rohertrag nicht gemeint! Der Rohertrag ist dem Deckungsbeitrag ähnlich, mehr aber nicht. Deshalb sind es ja auch unterschiedliche Bezeichnungen. Begriffe wie fixe und variable Kosten, Deckungsbeiträge, Gemeinkosten etc. gehören in die Kostenrechnung, nicht in die Buchhaltung oder BWA.
Vielleicht ist Ihnen schon aufgefallen, dass ich in allen Blogposts immer von Aufwendungen spreche, nicht von Kosten. Streng genommen gibt es in der Buchhaltung keine Kosten und Leistungen, sondern nur Aufwendungen und Erträge, und das ist keineswegs dasselbe.
Der Rohertrag bezieht sich wirklich nur auf die Materialien (oder Handelswaren), die von der Gesamtleistung abgezogen werden. Der Deckungsbeitrag hingegen zieht auch andere variable Kosten von einem Umsatzerlös ab, zum Beispiel produktionsabhängige Löhne, Stromverbräuche etc.. Also alles, was in direkten Zusammenhang mit einer zusätzlichen Leistung auch an zusätzlichen Kosten anfällt. Und er wird in einem anderen System ermittelt, der Kostenrechnung, nicht in der Buchhaltung.
Aufwendungen vs. Kosten
Wie schon erwähnt, gibt es in der Buchhaltung eigentlich keine Kosten, nur Aufwendungen. Wenn Sie in Ihrer BWA trotzdem ständig etwas von Kosten lesen, sind Sie dennoch nicht in der Kostenrechnung. Diese ist ein eigenständiges System, das mit Kostenstellen und Kostenträgern arbeitet und einen anderen Zweck hat, als die Buchhaltung.
Diese Begrifflichkeiten werden lediglich sehr nachlässig gehandhabt, vielleicht auch nicht richtig verstanden, auf jeden Fall führen diese Ungenauigkeiten ständig zu Missverständnissen. An dieser Stelle will ich aber nicht näher darauf eingehen. Wenn Sie sich über Kostenrechnung informieren möchten, nutzen Sie gerne meine kostenlose 16-teilige YouTube Serie „Gewinnsteigerung mit Kostenrechnung!“.
Rohertrag in Dienstleistungsunternehmen
Mittlerweile bestimmen Dienstleistungsunternehmen große Teile der Wirtschaft und diese verbrauchen kaum Material. Macht der Rohertrag als Kennzahl dann noch Sinn?
Nun, mal abgesehen davon, das ich ohnehin ein großer Freund von Kostenrechnungen bin, die solche Fragestellungen besser lösen können: Fremdleistungen haben eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Materialverbrauch. Kommen beispielsweise Agenturen an ihre Kapazitätsgrenze und vergeben deshalb Teilaufgaben an Dritte, erhalten sie von diesen eine Rechnung, auftragsbedingte Aufwendungen entstehen.
Diese Fremdleistungen entstehen also vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, wenn man zusätzliche Aufträge annimmt, sie haben deshalb eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Materialverbrauch, der auch nur mit zusätzlichen Aufträgen zunimmt. Dennoch ist das etwas holprig: Materialverbräuche entstehen schon ab der allerersten Produktionseinheit, Fremdleistungen aber erst, nachdem die eigene Kapazität ausgelastet ist.
Fremdleistungen findet man in BWAs meist für Dienstleistungsunternehmen direkt nach der Gesamtleistung (oder nach dem eigentlichen Rohertrag). Diese Zwischensumme kann man dann Rohertrag II nennen.