„Gefühlt“ keine Ahnung?
„Gefühlt“ 80% aller Selbstständigen leiden unter der (falschen) Selbsteinschätzung, sie könnten kein Rechnungswesen. Das ist jedenfalls mein – zugegeben rein subjektiver – Eindruck. Und mit „Rechnungswesen können“ meine ich nicht das detaillierte Buchen komplizierter Geschäftsvorfälle, nicht den Jahresabschluss oder eine Steuererklärung, dafür braucht man Profis. Nein, mit „können“ meine ich das Anwenden der Ergebnisse des Rechnungswesens, das Auswerten und Verstehen der Bilanzen, der Gewinn- und Verlustrechnungen, der Liquiditätspläne oder auch der Kostenrechnungen, um Entscheidungen daraus abzuleiten.
Das Gute daran: Dazu braucht man keine Kenntnisse der Gesetze, sondern lediglich das Verständnis der kaufmännischen Bedeutung der Zahlen. Was eine Rückstellung ist, wie sie sich auswirkt, was sie leistet und was nicht, das kann man vollumfänglich verstehen – auch wenn man zur konkreten Bildung der Rückstellung dann die Fachleute mit den detaillierten Kenntnissen der aktuellen Gesetze benötigt.
Und dieses kaufmännische Grundverständnis kann man gut erlernen. Dabei geht es um die kaufmännische Bedeutung der Zahlen, die betriebswirtschaftliche Interpretation – nicht um deren rechtlichen Hintergrund.
Rechnungswesen kaufmännisch interpretieren
Wenn ich eine Bilanz anschaue, interessieren mich die Gesetze, die zu dieser Bilanz geführt haben, zunächst überhaupt nicht. Es sind die Steuerberater und Bilanzbuchhalter, die diese Bilanz rechtskonform vorzubereiten haben und von einer verabschiedeten Bilanz möchte ich dann wissen, was dieses Bilanzergebnis für die betriebswirtschaftliche Situation des Unternehmens bedeutet.
Angenommen, dort stehen hohe Rückstellungen, die einen überproportionalen Anteil an der Bilanzsumme ausmachen. Zunächst muss mir klar sein, dass Rückstellungen im Jahr ihrer Bildung einen Aufwand darstellen, ein „ärmer werden“, mit dem notiert wird, dass das Unternehmen in zukünftigen Jahren einen Geldabfluss befürchtet, dessen genau Höhe und Eintrittszeitpunkt aber unsicher ist. Und am Jahresende stehen sie als eine Art „Fremdkapital“, als eine Art „Schulden“ in der Bilanz. Aha! Das sind doch schon mal wichtige Informationen. Also: Das Unternehmen hat hohe Risiken für die Zukunft ausgewiesen und es wird wahrscheinlich zu künftigen Liquiditätsbelastungen kommen.
Bilanzen befragen
Das geht aber auch genauer. Welcher Art sind die Rückstellungen? Sind sie eher üblich, zum Beispiel für Gewährleistungen, oder eher unüblich, zum Beispiel mit einer hohen Summe für eine einzelne, aber umfängliche Schadenersatzforderung eines Kunden?
Im ersten Fall ist es eher ein strukturelles Problem, vielleicht Qualitätsprobleme, wenn diese Rückstellungen höher sind als in der Branche üblich, im zweiten Fall ist es eher nicht-operational bedingt, also ein wahrscheinlich einmaliges Ereignis. Sind es aber überproportional hohe Pensionsrückstellungen (ein heikles Thema), dann ist es wiederum eher ein strukturelles Problem und ein Ansatzpunkt, um über die Unternehmenspolitik bei Pensionszusagen kritisch nachzudenken. Mit der Kenntnis von Gesetzen haben diese Überlegungen ursächlich aber nichts zu tun.
Management befragen
Aber es könnten auch andere Ursachen vorliegen: Vielleicht bestanden Wahlmöglichkeiten und die Bilanzprofis haben auf Anordnung der Geschäftsführung die Rückstellungen so hoch wie möglich angesetzt, um den Gewinn zu drücken. Dann stellen sie womöglich sogar eine kleine „Ertrags-Sparbüchse“ dar, wenn sie in späteren Jahren erfolgswirksam aufgelöst werden können. Die Auflösung von Rückstellungen erhöht den Gewinn, so wie deren Bildung ein Aufwand war, Geld fließt aber in beiden Fällen nicht. Gesetze muss ich dazu nicht selbst kennen, aber natürlich die Profis mit der rechtskonformen Umsetzung beauftragen.
Gesetze am Schluss
Schließlich lasse ich mir dann erklären, wie die Gesetze dazu strukturiert sind, wenn es mich interessiert, was es bis zu einer gewissen Detailtiefe auch tut. Welche Rückstellungen dürfen überhaupt gebildet werden, bei welchen hat man ein Wahlrecht, welche muss man bilden, wie frei ist man bei der Entscheidung, sie später wieder aufzulösen?
Dazu setze ich mich mit Steuerberater/innen und Bilanzbuchhaltern zusammen und kooperiere so mit den Profis.
Das ist ein sinnvoller, führungsorientierter Umgang mit den Zahlen des Rechnungswesens, wie Sie ihn sich angewöhnen sollten: Verstehen sie die kaufmännische Wirkung dahinter, aber lernen Sie nicht die komplexen Gesetze dazu. Und die kaufmännische Wirkung zu verstehen, das ist verhältnismäßig einfach, das können Sie als Führungskraft erreichen. Und im rechtlichen Detail lassen Sie sich beraten.